SRH Zentralklinikum Suhl
Zentralklinikum Suhl Allgemein

Zum Weltalzheimertag: Wieso vergessen nicht gleich vergessen ist

Ist Vergesslichkeit immer gleich Demenz? Zum Weltalzheimertag klärt Neuropsychologin Dr. Kristin Wenzel im Interview auf.

Die Lebenserwartung in Deutschland steigt immer weiter. Ebenso die Zahl der über 100jährigen. Unser Land wird älter. Für die allermeisten Senioren bedeutet das viele erfüllte Jahre. Manche aber beginnen mit zunehmendem Alter an Gedächtnisschwierigkeiten zu leiden, die immer schlimmer werden. Die Diagnose „Alzheimer“ liegt dabei nahe. Neuropsychologinnen wie Dr. Kristin Wenzel aus unserem SRH Zentralklinikum Suhl nehmen sich mit viel Leidenschaft diesem Krankheitsbild an. Sie unterstützen dabei, die richtige Diagnose zu stellen, wenn es geht eine Behandlung einzuleiten oder mit der Erkrankung umzugehen. Zum Welt-Alzheimertag haben wir sie interviewt.

Frau Wenzel, haben Sie heute schon etwas vergessen?
Natürlich. Jeder von uns vergisst jeden Tag etwas. Vergessen ist ein Schutzmechanismus und im Alltag überaus nützlich, um unserem Gehirn zu helfen, mit der Vielzahl an Informationen in unserem Leben auszukommen. Ich habe heute Morgen zum Beispiel erst einmal vergessen, die Mülltonne vors Haus zu stellen. Zum Glück hat mich mein Kalender noch rechtzeitig daran erinnert.

Vergessen ist also gar nicht so schlimm?
Nein, dem Grunde nach ist es das überhaupt nicht. Allerdings gibt es messbare Grenzen. Und fühlbare sowieso. Viele der Patienten erreichen uns, weil sie merken, dass sie vergesslicher werden. Das kann bei 40jährigen ebenso vorkommen, wie bei über 70jährigen.

Ihr Pressekontakt
Dr. phil. Dipl.-Psych. Kristin Wenzel

Hat jeder von Ihren Patientinnen und Patienten eine Demenz?
Nein, natürlich nicht. Vergesslichkeit kann viele Ursachen haben. Vitaminmangel zum Beispiel, übermäßigen Stress, Medikamente, eine Entzündung des Gehirns und viele andere mehr. Woher sie rührt und wie sie das Leben der Patienten beeinträchtigt, ist unsere Aufgabe in der Neurologie herauszufinden. 

Wie kommen Sie Demenzen auf die Spur?
Wir, also die Neurologen und Neuropsychologen, beschäftigen uns ausführlich mit der Familien-, der gesundheitlichen oder auch der Suchtanamnese:  gab es im nahen Umfeld bereits Demenzerkrankungen, welche weiteren Risiko- oder andere möglicherweise erklärende Faktoren sind vorhanden? Wenn wir wissen, wo wir ansetzen müssen, legen wir die passenden Diagnostikinstrumente fest. Die neuropsychologische Diagnostik dauert ca. zwei Stunden.

Muss man also Angst vor einem Termin beim Neuropsychologen haben?
Aber nein. Viele kommen mit etwas Respekt vor dem unbekannten Feld uns. Manche haben die Befürchtung, es könnte die Krankheit sein, die sie ohnehin lange vermuten. Oftmals aber herrscht Erleichterung vor, wenn wir – also Neurologen und Neuropsychologen gemeinsam – ganz nachvollziehbar sagen können: es ist eine Demenz oder es ist keine Demenz. Und wenn eine Demenz vorliegt, einschränken können, welche Form es höchstwahrscheinlich ist und was man nun tun sollte.

Es gibt also verschiedene Demenzformen?
Genau so ist es. Die Alzheimer-Demenz ist die führende Form. Seltener ist das Frontotemporale Spektrum oder eine vaskuläre Demenz. Bei allen Formen ist es wichtig, sie möglichst früh zu diagnostizieren. Je früher wir wissen, welche Demenzform vorliegt, desto besser können wir eine passende Therapie einleiten.

Bedeutet Therapie gleich Heilung?
Leider nein. Viele forschen im Millionen-Markt der Demenzen. Einen wirklichen Durchbruch mit einem zugelassenen, wirksamen Medikament aber gab es noch nicht. Wir können stand heute Demenzen nicht heilen. Wir können aber im günstigen Fall den Verlauf so patientenfreundlich wie möglich gestalten.

Wie äußert sich eine Demenz?
Je nach Demenzform unterschiedlich. Bei der oft erwähnten Alzheimerdemenz unter anderem durch die Vergesslichkeit, die wir zu Beginn unseres Gesprächs ansprachen. Auch kommt meist eine Beeinträchtigung der Sprache, der Verlust von Zeit- und Ortsgefühl, der visuell-räumlichen Fähigkeiten dazu. Insbesondere werden alltägliche Erledigungen schwierig und die Patienten benötigen Unterstützung. Andere Erinnerungen aber sind oftmals noch lange gut abrufbar, etwa solche aus der Kindheit und der Jugend.

Ist das der Ansatzpunkt einer Therapie?
An einer Demenz erkrankte Patientinnen und Patienten werden früher oder später leider pflegebedürftig. Aber Angehörige können Ansätze verfolgen, die ihnen und den Erkrankten das Leben mit der Demenz etwas erleichtern. Beispielsweise die Arbeit mit der eigenen Biografie.

Können Sie noch einige andere Unterstützungsmöglichkeiten nennen?
Es gibt ein breites Spektrum von Möglichkeiten, die das Leben mit einem an Demenz erkrankten Angehörigen erleichtern. Ich rate dazu, in einer Selbsthilfegruppe Halt zu finden, denn die Pflege ist immer eine herausfordernde Aufgabe. Ich rate dazu, Kurzzeit-Auszeiten, bspw. durch Kurzzeitpflege, zu ermöglichen. Auch ist eine Gestaltung der Umgebung hinsichtlich der Prinzipien der Einfachheit oftmals sehr sinnvoll. Viele tolle Hilfen und Hinweise kann man bei entsprechenden Gesellschaften (z.B. Deutsche Alzheimer Gesellschaft, Alzheimer Forschungsinitiative) erfragen und in Broschüren oder im Netz nachlesen.

Hätten Sie einige Tipps, um Demenzen vorzubeugen?
Grundsätzlich hilft ein gesunder Lebensstil. Also alles, was u.a. unseren Blutgefäßen hilft: viel Bewegung, nicht rauchen, kein übermäßiger Alkoholgenuss und die bekannte „mediterrane Ernährung“. So einfach das klingt, so wenige halten sich viele Menschen daran. Außerdem hilft es, das Gedächtnis und die soziale Einbindung zu fördern. Konkret: auch im Ruhestand Kontakte pflegen, Termine wahrnehmen, eine feste Agenda haben, etwas unternehmen oder im Ehrenamt tun. Daneben sind Apps oder Bücher zum Gedächtnistraining wirklich nützlich. Sie können ja schon uns junge Menschen ab und an richtig ins Schwitzen bringen.

Heute ist der Weltalzheimertag. Was sollten wir als Letztes nicht vergessen?
Wir sollten nicht vergessen, dass Alzheimer und andere progrediente Demenzformen eine wirklich herausfordernde Krankheit sind, deren Inzidenz weiter zunehmen wird. Wir sollten uns dafür stark machen, dass wir den Umgang mit Demenzen noch besser lernen, die Krankheit besser verstehen. Und dass Vergesslichkeit eben nicht immer gleich eine progrediente Demenzform sein muss. Aus meiner Sicht braucht es mehr Anlaufstellen, auch ambulant, die Diagnostik und möglicherweise eine stützende Therapie möglich machen.

 

Zur Person:
Dr. Kristin Wenzel ist promovierte Psychologin, Fachpsychologin für Rehabilitation und Neuropsychologin im letzten Drittel der Ausbildung.  Sie arbeitet in der Klinik für Neurologie im SRH Zentralklinikum Suhl. Zu ihren Aufgaben zählen neben der Demenzdiagnostik vor allem Diagnostik und Therapie von Schlaganfallpatient:innen in unserer Stroke Unit sowie die Arbeit mit Erwachsenen mit Behinderung im MZEB (Medizinischen Zentrum für Erwachsene mit Behinderung). Die zertifizierte Ausbildung zur Neuropsychologin schließt sich an ein Psychologiestudium an, dauert berufsbegleitend rund drei Jahre. Bei der Ausbildung hilft es, in der SRH gut vernetzt zu sein.